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Innovation begeistert

Interview mit Wolfgang Frühauf, Victor Schmitt, Thomas Schmid

50 Jahre lang haben SSF Ingenieure Weiterentwicklung und Fortschritt im Bauwesen mitgestaltet. Anlässlich des 50-jährigen Firmenjubiläums haben sich Thomas Schmid und die beiden Aufsichtsräte Victor Schmitt und Wolfgang Frühauf zum Gedankenaustausch getroffen. Rückblickend, vor allem aber mit einem kritischen Auge auf die aktuelle Situation der Branche sprechen sie über die Innovationsleistung bei SSF, über das immense Innovationspotenzial der Bauindustrie und über Begeisterung.

Astrid Schön:

Herr Schmitt, Sie sind noch immer ein engagierter Begleiter von Innovationen bei SSF Ingenieure, die neue Entwicklungen der Branche wie kaum ein anderes Planungsbüro vorangetrieben haben. Sie, Herr Schmid, haben 2019 den Innovationspreis der Bayerischen Bauindustrie ins Leben gerufen, der seither jährlich vergeben wird.

Thomas Schmid:
Bauunternehmen oder Ingenieurbüros wie SSF sind sehr innovativ, aber ihre Innovationen werden zu wenig gesehen, weil sie fast immer im Bauwerk verbaut werden. Mit dem Innovationspreis wollen wir den Bauinnovationen mehr Beachtung verschaffen und unsere Unternehmen zu weiteren kreativen Leistungen anspornen.

Astrid Schön:
Ich nehme an, der Preis soll die Branche auch für den Nachwuchs attraktiver machen?

Thomas Schmid:
Durchaus, aber die Branche ist tatsächlich heute attraktiver denn je: Die Einschreibequoten für die entsprechenden Studiengänge an den Hochschulen sind auch bei den Frauen so hoch wie nie. Der Nachwuchs ist da.

Victor Schmitt:
Wir werden in den kommenden Jahren die jungen Talente auch mehr denn je brauchen. Denn je dichter die Räume werden, desto wichtiger wird auch der Planer. 

Wolfgang Frühauf:
Wir entwickeln heute ja kaum mehr etwas auf der grünen Wiese. Bauen im Bestand ist ein wichtiges Zukunftsthema, das extrem fordernd und komplex ist. Hier können und müssen wir jetzt zeigen, was wir können.

Thomas Schmid:
Es ist eine Tatsache, dass alle wichtigen Themen unserer Zeit durch das Bauen gelöst werden – egal, ob Klimawandel, Mobilität oder Energie. Das heißt: Die Baubranche begleitet die Entwicklungen und Umbrüche unserer Gesellschaft; ja, sie setzt sie baulich um. Kliniken und Gesundheitszentren wie wir sie zum Beispiel in Pandemiezeiten brauchen, werden gebaut. Eine gebaute Infrastruktur schafft die Voraussetzungen für das Verteilen von Windenergie; der Ausbau von Straßen oder Fahrradwegenetzen für zeitgemäße Mobilität. Im Grunde kann unsere gesamte Wirtschafts- und Sozialstruktur immer nur so gut sein wie unsere Infrastruktur. 

Astrid Schön:
Vor genau diesem Hintergrund der gesellschaftlichen Relevanz sprechen wir über Innovationen.

Thomas Schmid:
Klimaschutz ist hier ein gutes Beispiel. Für den Weg hin zur Klimaneutralität und auch zur besseren Bewältigung der unvermeidbaren Folgen des Klimawandels kann die Bauindustrie viele technische Lösungen anbieten. Diese Lösungskompetenz sollte die Politik nutzen.

Wolfgang Frühauf:
Ich stimme absolut zu. Aber meine Erfahrung ist, dass die Öffentliche Hand oft als Verwaltungsapparat agiert. Es gibt wenige Bauherrn, die den Mut und das Rückgrat haben, innovative Lösungen auszuschreiben. Denn: Innovation bedeutet Risiko.

Thomas Schmid:
Das ist richtig. Neben der klassischen Ausschreibung brauchen wir mehr Sondervorschläge oder Nebenangebote, die aufzeigen, wo etwas auch anders und besser gemacht werden kann. Wir brauchen Werkzeuge, die den Bestellern unserer Leistung aufzeigen, was wir können, welchen beeindruckenden Technikstand wir schon heute haben und was die Trends der Zukunft sind.

Victor Schmitt:
Viele von uns begeistern sich heute für die aktuellste Handyversion, nutzen fasziniert neue Applikationen und vertrauen automatisch darauf, dass die Technik funktioniert. Diese Bereitschaft, Neues nicht nur anzunehmen, sondern auch das damit verbundene Vertrauen und die Wertschätzung wünschen wir uns auch für die Baubranche. Die mangelnde Risikobereitschaft hat Wolfgang Frühauf ja bereits angesprochen. Die Voraussetzungen für mehr Vertrauen müssen wir schaffen: Sicherheit, Aufklärung und Wissen, egal ob für private Bauherren oder die Öffentliche Hand. Unsere Kompetenzen sind extrem vielschichtig und zu wenig greifbar. Deshalb haben unsere Auftraggeber oft nicht den Mut, innovativ zu bestellen.

Wolfgang Frühauf:
Trotzdem brennen wir bei SSF Ingenieure dafür, neue Lösungen zu finden. Wie viele andere Unternehmen der Baubranche sind wir mit Herzblut und Begeisterung bei der Sache. Mein eigenes Berufsleben ist von einem steten Weiterentwickeln, beharrlichem und exaktem Forschen begleitet, um die immer komplexeren Auftragsbedingungen erfüllen zu können. Aktuell planen wir den neuen Elbtunnel in Hamburg mit dem riesigen Querschnitt von 14 Metern. Hierfür kann man sich nichts abschauen, man muss die Aufgaben stets neu durchdringen. Erst beim Graben erfahren wir mehr. So ein „Tasten im Dunkeln“ erfordert eine innovationsfreudige und agile Expertise im gesamten Team. 


Victor Schmitt:

In unserer Branche sollen Projekte eine Lebensdauer von oft 100 Jahren haben. Deshalb kann man sie eigentlich gar nicht mit anderen kurzlebigen Produkten wie dem Handy vergleichen. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir die vorhin formulierten Forderungen nach Sicherheit und Aufklärung bedienen können, wenn wir vermehrt in Produkten und Produktentwicklungen denken. Denn unsere innovativen VTR- oder VTF-Trägersysteme sind greifbar: Wir geben ihnen Namen und wir können sie erklären. Wir können damit das Versprechen messbarer Effizienz einlösen. Aber wir brauchen den Vertrauensvorschuss von öffentlichen Auftraggebern. Sie müssen Innovationen auch wollen. Unsere Bauherren müssen sie ausschreiben können. Dafür erproben wir die Verfahren im Rahmen unseres Engagements im osteuropäischen Ausland. Dort haben wir diese Modulbauweisen schon über 100 Mal realisiert. 

Wolfgang Frühauf:
Fakt ist trotz allem, dass diese Ideen und Produktentwicklungen von der Öffentlichkeit manchmal nicht wahrgenommen werden können, weil sie von außen nicht sichtbar sind. Unsere Branche sollte Innovationen besser kommunizieren und darüber informieren.

Astrid Schön:
Aber die Bauindustrie hat in den vergangenen Jahrzehnten durch den Einsatz neuer Methoden und Energiesysteme zum Beispiel den Heizwärmebedarf je Quadratmeter auf ca. ein Zehntel des Ausgangswertes gesenkt. Im Vergleichszeitraum hat die Automobilbranche es lediglich geschafft, innerhalb der gleichen Antriebstechnologie Verbrauchs- und Leistungswerte zu optimieren.

Thomas Schmid:
So ist es. Ich weiß, dass unsere Unternehmen noch viel mehr Innovationen einbringen könnten. Egal, ob klein oder groß – viele Baufirmen haben tolle Ideen. Sie sind es, die wir mit dem Innovationspreis würdigen und sichtbar machen wollen.

Astrid Schön:
Als Namensgeber der SSF Ingenieure stehen Sie, Herr Schmitt und Herr Frühauf, mit ihrem beeindruckenden Lebenswerk für den Mut und den fachlichen Drang, Innovationen zu erarbeiten, die in den entsprechenden Bauwerken von gesellschaftlichem Nutzen sind. Hat der Innovationswille sich in den vergangenen 50 Jahren verändert?

Victor Schmitt:
Wir haben im Markt eine kleinteilige Unternehmensstruktur, die den Wettbewerb maximiert – auch den um gute Lösungen. Viele davon sind gut greifbar und bieten eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten. So hat die Digitalisierung zum Beispiel das 3D-Plotten von Brücken auf den Weg gebracht oder Modelle wie BIM. Wolfgang Frühauf und ich kommen aus den Konstruktionsbüros großer Baufirmen. Das heißt, die hatten damals alle ihre eigenen Ideenschmieden. Es gab einen starken Wettbewerb, der uns angetrieben hat. Eine tolle Zeit. 

Wolfgang Frühauf:
In den Jahren des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg musste man besonders kreativ sein – schon allein wegen der fehlenden Ressourcen.

Victor Schmitt:
Stimmt. Wir mussten sparsam sein in den Planungen. Und ich denke, das ist es auch, was wir wieder lernen müssen: sparsamer zu sein! Es ist eine Tatsache, dass die Bauaufträge an die wirtschaftlichste Lösung vergeben werden, aber wir müssen auch bei den Massen sparen.

Thomas Schmid:
Damit sind wir wieder beim Thema Klimaschutz: Wir wissen doch längst, dass unsere heutigen Ressourcen endlich sind. 

Victor Schmitt:
Deshalb bin ich davon überzeugt, dass der Klimawandel uns schnell zu einem Umdenken zwingen wird – auch in der Entwurfs- und Ausführungsplanung. Was hilft es uns, wenn es für die CO₂-Sünder Zement und Stahl bis 2050 klimaschonendere Alternativen gibt? Auf den Klimawandel müssen wir heute reagieren.

Thomas Schmid:
Und die Vorschläge unserer Branche liegen auf dem Tisch. Wir haben schon jetzt eine tolle Recyclingquote in der Bauwirtschaft. Fräsgut von Autobahnen beispielsweise könnte aufgearbeitet werden. Aber wir transportieren es fast immer zur Deponie, weil das Recyklieren einfach nicht ausgeschrieben wird.

Wolfgang Frühauf:
Genau an dieser Stelle müssen unsere Strukturen Innovation einfordern und erlauben. Der Vorstand eines Autobauers beispielsweise verlangt beim Facelift eines Modells eine Effizienzsteigerung, eine Produktionskostensenkung und eine Qualitätssteigerung gleichzeitig. Dafür erlaubt er sorgfältige Planung und Versuche. Bei uns wird in der Regel konservativ der Ersatz eines Bauwerks bestellt – in kürzester Planungszeit mit geringen Planungskosten. Auch wenn die Planungskosten im Verhältnis zu den Erstellungskosten oft gering sind.

Victor Schmitt:
Deshalb müssen wir alle umdenken! Bauherren, Planer und Ausführende – wir gehören alle zusammen. Wir alle müssen den Fortschritt nicht nur wollen, sondern auch zulassen.

Astrid Schön:

Wäre es also sinnvoll, den Bauherrn zum Beispiel schon vor der Ausschreibung zu beraten?

Thomas Schmid:
Natürlich wäre es absolut sinnvoll, gerade bei großen Aufgaben bereits in der Vorplanung zu beraten. Wir brauchen entsprechend andere Ausschreibungsmodelle, die Ausführende früher in den Prozess integrieren. Weil der Bauherr die Innovationen, die schon zur Verfügung stünden, gar nicht kennt. Bei der zweiten Stammstrecke, die aktuell gebaut wird, hat man mit den Baufirmen geredet, die hatten Verbesserungsvorschläge und es wurde nochmals ausgeschrieben.

Astrid Schön:
Das heißt: Austausch und Miteinander, neue Ausschreibungsmodelle und mutige Bauherrn-Entscheidungen könnten die Innovationskraft der deutschen Bauindustrie stärken. 

Thomas Schmid:
Die Branche ist bereits jetzt auf einem guten Weg: mit konkreten Pilotprojekten, einem immensen Innovationswillen – vor allem aber mit größtmöglicher Bau-Begeisterung. Ein notwendiger und lebenssichernder globaler Fortschritt verlangt Innovation in allen Bereichen: Versorgung, Mobilität oder Nachhaltigkeit, um noch mal Beispiele zu nennen. 

Victor Schmitt:
Hier lohnt es sich, an die Fähigkeiten unserer Ingenieure zu glauben. Ihre Leistungen und ihren Wert sollten wir sehen und würdigen. Das gilt für uns alle: Für die Politik und für die Gesellschaft wie auch für uns als Branche. Was Thomas Schmid sagt, ist absolut richtig: Unsere Infrastruktur ist der Gradmesser unserer Bauexpertise. Machen wir unsere Aufgabe also so gut wir nur können. Und suchen wir weiter nach der besseren, der innovativeren Lösung.

Thomas Schmid

Seit 2014 Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Bauindustrieverbands

Von 2001 bis 2014 war er Erster Bürgermeister von Garmisch-Partenkirchen und hat in dieser Zeit viel Projekterfahrung als Bauherr gesammelt. Victor Schmitt und Wolfgang Frühauf kennt er seit dem Bau der hochinnovativen Olympia-Schanze. Er ist in der Kommunal- und Landespolitik ebenso zuhause wie in der hohen Diplomatie und heute ein hervorragender Vertreter der Baubranche in der Öffentlichkeit.

Wolfgang Frühauf

Seit 1989 Gesellschafter und Geschäftsführer, inzwischen Aufsichtsrat SSF Ingenieure

Als begeisterter Ingenieur steht er für ein kompetitives Entwickeln und für innovationsgetriebene Einzellösungen aus der intensiven Durchdringung konstruktiver Herausforderungen heraus. Noch heute ist er gleichzeitig als wertvoller Stratege und Detailarbeiter in großen und hochkomplexen Projekten wie dem neuen Elbtunnel in Hamburg planerisch aktiv.

Victor Schmitt

Gründer und Aufsichtsrats-vorsitzender SSF Ingenieure

Seine Leidenschaft ist das Planen und Bauen im öffentlichen Bereich, wo es gilt Bedarf, Funktion, Gestalt und Wirtschaftlichkeit im Dialog mit allen am Bau Beteiligten abzustimmen. Er steht für Kompetenz und Kreativität, vor allem aber für das leidenschaftliche Vorantreiben von Innovationen, deren Erprobung er intensiv begleitet. Ihm geht es darum, den Produktstandard für neue Verfahrensweisen permanent zu optimieren. Entsprechend gehen zahlreiche Produktentwicklungen wie zum Beispiel die Verbund-Träger-Brückensysteme, die inzwischen patentiert sind und im europäischen Ausland vielfach realisiert wurden, auf seine Initiative zurück.